Trotz weltweiter Anstrengungen: Masern kommen zurück - Experten besorgt

Trotz weltweiter Anstrengungen: Masern kommen zurück - Experten besorgt

Ginge es nach der Weltgesundheitsorganisation WHO, dann stünden die Masern kurz vor der Ausrottung. Bis 2020 sollte die gefährliche Infektionskrankheit nach Plänen der UN-Behörde eigentlich eliminiert sein. Deutschland und 52 weitere Mitgliedstaaten der WHO-Region Europa unterstützen dieses Ziel zum Teil seit Jahren mit verschiedenen Maßnahmen wie Aufklärungskampagnen und Präventionsgesetzen. Trotzdem ist die Krankheit seit einigen Jahren wieder auf dem Vormarsch und das Ziel einer Ausrottung rückt erneut in weite Ferne.

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Ärzte und Gesundheitsexperten beobachten die jüngsten globalen Entwicklungen mit Sorge: Schon nach den ersten sieben Monaten übertraf 2019 die Zahl der weltweit gemeldeten Masernfälle die Gesamtzahl des Vorjahres. Vorläufigen WHO-Zahlen zufolge wurden mit 365.000 Fällen in 182 Ländern zwischen Januar und Juli fast drei Mal so viele Erkrankungen gemeldet wie im gleichen Zeitraum 2018. Damit verstärkt sich eine bedrückende Tendenz: Bereits 2018 hatten sich die gemeldeten Fälle im Vergleich zu 2017 mehr als verdoppelt. Bis 2016 waren die Masern-Erkrankungen dagegen weltweit rückläufig gewesen.

Hoch ansteckend, trotzdem beherrschbar

Auch in Europa haben die Fallzahlen jüngst wieder deutlich zugenommen. Laut WHO gab es im ersten Halbjahr 2019 rund 90.000 Erkrankungen – etwa doppelt so viele wie im Vorjahresvergleich. Gleich vier Länder in der Region verloren ihren masernfreien Status: Albanien, Griechenland, Großbritannien und Tschechien. „Das Wiederauftreten der Masernübertragung ist bedenklich“, warnt Dr. Günter Pfaff, Vorsitzender der Verifizierungskommission der Europäischen Region für die Eliminierung der Masern und Röteln (RVC) in einer WHO-Mitteilung. Für Deutschland zeigen die aktuell vom Robert-Koch-Institut (RKI) erfassten Masern-Erkrankungszahlen für 2019 keine Zunahme gegenüber den Vorjahren.

Masern gelten als eine der ansteckendsten Krankheiten überhaupt. Vor allem Kinder sind davon betroffen. Bei ihnen geht eine Erkrankung häufig mit Lungen- oder Mittelohrentzündungen einher. Kommt als Komplikation eine Masernenzephalitis hinzu, drohen bleibende Hirnschäden oder sogar der Tod. Auch Erwachsene ohne Impfschutz oder Immunität können sich anstecken. Dabei gelten Masern dank der seit Jahrzehnten verfügbaren Schutzimpfung grundsätzlich als leicht beherrschbar.

Impflücken bei Erwachsenen

Voraussetzung dafür sei aber eine hohe Durchimpfungsrate, sagt Professor Dr. Johannes Liese, Leiter des Bereichs pädiatrische Infektiologie und Immunologie an der Kinderklinik der Universität Würzburg und Kuratoriumsmitglied der Stiftung Kindergesundheit. „Um die Masern zu kontrollieren, muss mit mindestens 95 Prozent ein großer Anteil der Bevölkerung immunisiert sein.“ In Deutschland wird dieses Ziel trotz ansteigender Impfraten in den letzten Jahren noch knapp verfehlt: Laut RKI bekamen 2017 zwar 97,1 Prozent der Schulanfänger die erste Masernimpfung, aber nur 92,8 Prozent erhielten beide erforderliche Impfungen.

Nicht nur bei Kindern in Deutschland bleibt die Durchimpfungsrate bisher unter dem Soll: Ein mindestens ebenso großes Risiko stellen Liese zufolge die Impflücken unter den erwachsenen Bundesbürgern dar. Vor allem die Jahrgänge ab 1970 sind häufig nicht oder unzureichend immunisiert. Denn die zweite Masernimpfung, ohne die ein ausreichender Impfschutz nicht garantiert ist, wird erst seit Mitte der 1990er-Jahre empfohlen. Daher rät die Ständige Impfkommission (STIKO) des RKI zu einer Impfung für alle nach 1970 geborenen Erwachsenen, die gar nicht oder nur einmal gegen Masern geimpft wurden oder die ihren Impfstatus nicht kennen.

Geplante Impfpflicht

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Die meisten Erwachsenen wissen von der Präventionsmaßnahme jedoch nichts. „So wird die Aufklärung über das Masern-Risiko im Rahmen medizinischer Vorsorgeuntersuchungen nur bei Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren und bei älteren Menschen über 60 durchgeführt“, sagt der Infektiologe und Kinder- und Jugendarzt Liese. „Für Erwachsene fehlen Vorsorge-Programme und Erinnerungssysteme, mit denen die großen Lücken bei den Masern-Impfraten geschlossen werden könnten.“

Um die nötigen Durchimpfungsraten zu erzielen, geht die deutsche Bundesregierung nun einen Schritt weiter: Im Juli hat das Bundeskabinett ein Gesetz für eine Masern-Impfpflicht auf den Weg gebracht. Eltern müssen damit ab März 2020 nachweisen, dass ihre Kinder geimpft sind, bevor diese eine Kita oder Schule besuchen dürfen. Auch Beschäftigte in der Kinderbetreuung, Lehrer sowie medizinisches Personal müssen laut dem Gesetz künftig geimpft sein. Bei Verstößen drohen Bußgelder in Höhe von bis zu 2500 Euro.

Experte plädiert für regelmäßige Erinnerungen

Eine verpflichtende Masernimpfung unterstützt Kinderarzt Liese allerdings nur zum Teil. So sei sie für medizinisches und pflegendes Personal sowie Erzieher und Pädagogen durchaus sinnvoll. „Eine Impfpflicht für Kleinkinder und Schulkinder ist angesichts der dort bereits hohen Impfraten nicht verhältnismäßig“, sagt Liese. Seine Befürchtung: Ein mögliches Impfgesetz könnte den bisher verhältnismäßig geringen Widerstand in der Bevölkerung gegen die Masernimpfung erhöhen, weil sich die Bürger entmündigt fühlen könnten.

Auch gegen andere Impfungen könnten die Widerstände in der Folge steigen. Der laut Liese entscheidende Punkt ist aber: Die Impflücken bei den Erwachsenen würden von der geplanten Masern-Impfpflicht gar nicht berührt. Statt für verpflichtende Impfungen und Strafmaßnahmen gegen Eltern von Kleinkindern plädiert Liese daher für eine verbesserte und verpflichtende Aufklärung sowie für die regelmäßige Erinnerung jedes einzelnen Bürgers an die Lücken in seinem Impfstatus. Über das Risiko einer Maserninfektion sowie die Wirksamkeit der Immunisierung würden damit nicht nur Eltern von Kindern und ältere Menschen verpflichtend aufgeklärt, sondern erstmals auch andere Erwachsene.

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